Die Osteoporose ist als eine systemische Skeletterkrankung, die durch eine niedrige Knochenmasse und eine mikroarchitektonische Verschlechterung des Knochengewebes charakterisiert ist, definiert. Die Verschlechterung der Knochenwiderstandsfähigkeit führt zu einem konsekutiven Anstieg der Knochenfragilität, was das Risiko für das Auftreten von Frakturen erhöht (Consensus Development Conference 1994 📖 Consensus Development Conference. Diagnosis, prophylaxis and treatment of osteoporosis. Am J Med. 94, 1993: 646–650. , Kanis J et al. 2007 📖 Kanis JA on behalf of the World Health Organization Scientific Group. Assessment of osteoporosis at the primary health-care level. Technical Report. World Health Organization Collaborating Centre for Metabolic Bone Diseases, University of Sheffield, UK. 2007: Printed by the University of Sheffield. World Health Organization: Assessment of fracture risk and its application to screening for postmenopausal osteoporosis. Technical Report Series 843, Geneva: WHO 1994. ). Sind bereits Frakturen als Folge der Osteoporose aufgetreten, so liegt per definitionem eine manifeste Osteoporose vor.
Die klinische Bedeutung der Osteoporose ist an dem Auftreten von Frakturen und deren Folgen festzumachen. Die Diagnose einer Osteoporose stützt sich auf eine niedrige Knochendichte als messbaren Faktor einer Osteoporose. Die Knochendichte (BMD) Messergebnisse sind mit dem Frakturrisiko assoziiert. Daten aus der Studie für osteoporotische Frakturen (SOF) belegen, dass fast alle Arten von Frakturen mit Ausnahme der Gesichtsfrakturen mit niedriger BMD, die mittels dualer Röntgen-Absorptiometrie (DXA) bestimmt wurden, zusammenhängen und dass die Ergebnisse verschiedener Messorte nahezu alle Arten von Frakturen vorhersagen. Die BMD an der Hüfte hatte eine stärkere Assoziation mit allen Frakturen als die BMD der Wirbelsäule oder die der peripheren Messorte. Und trotz des starken Zusammenhangs zwischen BMD und Frakturrisiko sind weniger als die Hälfte der Frakturen bei älteren Frauen mit verminderter Knochendichte assoziiert, weil die meisten Frakturen numerisch oberhalb des Schwellenwertes einer messtechnisch gestellten Diagnose Osteoporose (T-Score ≤ -2,5 SD) erfolgen (Stone et al. 📖 Stone KL, Seeley DG, Lui LY, Cauley JA, Ensrud K, Browner WS, Nevitt MC, Cummings SR;Osteoporotic Fractures Research Group. BMD at multiple sites and risk of fracture of multiple types: long-term results from the Study of Osteoporotic Fractures. J Bone Miner Res. 2003; Nov;18(11):1947-54. Evidenzgrad 1b Oxford und Cranney et al. 📖 Cranney A, Jamal SA, Tsang JF, Josse RG, Leslie WD (2007). „Low bone mineral density and fracture burden in postmenopausal women”. CMAJ.;177(6): 575-580. ). Das Frakturrisiko wird neben der Knochendichte von Risikofaktoren beeinflusst.
Die Definition der Osteoporose und die nachfolgenden Empfehlungen tragen dieser Tatsache Rechnung, dass neben einer niedrigen Knochendichte mikroarchitektonische Schwächen, die zum Teil indirekt über klinische Risikofaktoren erfasst werden können (Parkinson I et al. 2003 📖 Parkinson IH, Fazzalari NL. Interrelationships between structural parameters of cancellous bone reveal accelerated structural change at low bone volume. J Bone Miner Res. 2003, 18(12):2200-5. Evidenzgrad 3b Oxford ) (siehe Kapitel Risikofaktoren), und extraossäre Faktoren, wie z. B. Stürze (siehe Kapitel Risikofaktoren und Kapitel 6), wesentlich das Frakturrisiko bestimmen. Diese Faktoren haben
zudem eine hohe Relevanz in Bezug auf nichtmedikamentöse und medikamentöse Maßnahmen zur Reduktion des Frakturrisikos.
Nach der operationalen Definition der WHO aus dem Jahr 1994 liegt eine Osteoporose dann vor, wenn der Knochenmineralgehalt in einer DXA-Knochendichtemessung an der Lendenwirbelsäule und/oder am proximalen Femur (Gesamtareal oder Schenkelhals) um mindestens 2,5 Standardabweichungen (T-Score ≤ -2,5 SD) vom Mittelwert einer 20- bis 29-jährigen Frau abweicht (Kanis J et al. 2007 📖 Kanis JA on behalf of the World Health Organization Scientific Group. Assessment of osteoporosis at the primary health-care level. Technical Report. World Health Organization Collaborating Centre for Metabolic Bone Diseases, University of Sheffield, UK. 2007: Printed by the University of Sheffield. World Health Organization: Assessment of fracture risk and its application to screening for postmenopausal osteoporosis. Technical Report Series 843, Geneva: WHO 1994. ). Die in Standardabweichungen angegebene Abweichung der Knochendichte von der einer 20- bis 29-jährigen Frau wird als T-Score bezeichnet. Diese operationale Definition kann auf Männer ab dem 50. Lebensjahr übertragen werden.
Alle Aussagen zu T-Scores bei Männern in dieser Leitlinie beziehen sich auf ein männliches Referenzkollektiv für den T-Score. Es ist zu beachten, dass je nach Verwendung eines weiblichen oder männlichen Referenzkollektivs die Bedeutung der T-Scores bei Männern unterschiedlich ist (Leslie W et al. 2006 📖 Leslie WD, Adler RA, El-Hajj Fuleihan G, Hodsman AB, Kendler DL, McClung M, Miller PD, Watts NB.; International Society for Clinical Densitometry Application of the 1994 WHO classification to populations other than postmenopausal Caucasian women: the 2005 ISCD Official Positions. J Clin Densitom. 2006 Jan-Mar;9(1): 22-30. Epub 2006 May 12. , ISCD 2023 📖 https://iscd.org/wp-content/uploads/2021/09/2019-Official-Positions-Adult-1.pdf letzter Zugriff 17.4.2023 ).
Die auf den T-Scores beruhende operationale Definition der Osteoporose gilt erst nach Ausschluss anderer Erkrankungen, die mit einer Verminderung des Knochenmineralgehalts einhergehen können, beispielsweise eine Osteomalazie. Die operationale Diagnose einer Osteoporose auf der Grundlage eines DXA-T-Scores kann also nie alleine aus dem Knochendichtemesswert, sondern nur im weiteren klinischen Kontext gestellt werden.